Sonntag, 5. März 2006


Vom Filter zum Megaphon zur Trompete: Seth Godin über Marketing

werbungSeth Godin zuzuhören und zuzusehen, wenn er unter dem Titel "All Marketers Are Liars" über die Zukunft des Marketings in der Ära des Web2.0 spricht, verspricht auf jeden Fall eine prima Unterhaltung. Vor ein paar Tagen wurde ein Video von einer Präsentation bei Google auf - wie sollte es anders sein - Google Video veröffentlicht. Wer sich nicht den gesamten 48minütigen Vortrag ansehen will - hier ist eine kurze Zusammenfassung.

Marketing und Technologie

Das Verhältnis von Technologie und Marketing wird nach Godin zumeist falsch herum gedacht. Es geht nicht so sehr darum, neue und überzeugende Technologien zu entwickeln und dann entsprechend zu vermarkten, sondern ganz bestimmte (explizite oder implizite) Marketingentscheidungen ermöglichen überhaupt erst das Durchsetzen der entwickelten Technologien.

Menschen statt Kunden

Dabei laufen Unternehmen fehl, die sich nur auf ihre "Zielgruppe" richten und versuchen, dieser ihre Produkte zu verkaufen. Viel wirksamer ist es, diese Überzeugungsarbeit den Kunden selbst zu überlassen. Googles Wachstum liegt demzufolge weniger in der überlegenen Suchtechnologie, sondern in dem erfolgreichen Einsatz von Mundpropaganda.

Permission Marketing

Das passende Schlagwort hierzu lautet: "Permission Marketing" oder die Fähigkeit, am richtigen Ort und zur richtigen Zeit auf die richtige Art und Weise seine (Werbe)botschaft zu platzieren - so dass sie nicht nur gehört, sondern geradezu erwartet wird. Es geht darum, den Menschen eine passende Geschichte zu erzählen - eine Geschichte, die sie wirklich hören wollen -, nicht darum, sie von etwas Ungewolltem zu überzeugen. Der Erfolg von Google liegt nicht darin, dass diese Suchtechnologie das "Suchproblem" der Internetsurfer besonders gut löst oder der Erfolg von Weblogs liegt nicht darin, dass sie ein "Informationsproblem" besonders effektiv bekämpfen. Nein, jeweils wird eine Geschichte erzählt, die bestimmte Menschen gerade gerne hören. Das ist alles.

Der Godin-Trichter

Godin illustriert dies mit dem Beispiel eines Trichters. Das klassische Marketing versucht, mit einem möglichst großen Trichter möglichst viele Kunden einzufangen. Viel effektiver ist es dagegen, sich vor allem auf diejenigen zu konzentrieren, die bereits ein gutes Stück in den Trichter hineingerutscht sind.

Aber der wirkliche Clou liegt erst darin, den Filter zu drehen ("flipping the funnel") und in ein Megaphon zu verwandeln, mit dem die Kunden selbst die Marketingarbeit übernehmen können (und wollen). Am besten geht das mit Modellen, die umso besser funktionieren, je mehr sich daran beteiligen: so liegt es im Eigeninteresse, seine Freunde, Kollegen etc. davon zu begeistern.

Zwei Komplexe

Das klassische Marketingmodell des "TV-industriellen Komplexes" beschreibt einen sich steigernden Kreislauf: ein Produkt bewerben führt zu einer Ausdehnung der Reichweite. Das wiederum steigert den Umsatz, so dass letztlich mehr Gewinn herausspringt, der wiederum in mehr Werbung investiert werden kann ... Damit lässt sich jedoch der Erfolg von Google, Flickr, eBay etc. nicht mehr erklären.

Hierfür schlägt Godin das Modell des "fashion/permission-complex" vor, das einen ganz anderen Kreislauf zeichnet. Er beginnt damit, dass ein Produkt bemerkenswert ist (also wert, dass darüber geredet wird), dann wird die Geschichte des Produkts den wichtigsten Multiplikatoren ("Sneezers") erzählt - das können zum Beispiel Weblogautoren sein oder Nerds -, diese verbreiten die Geschichte über Mundpropaganda und schließlich erhält das Unternehmen das Einverständnis der Kunden, weitere Geschichten zu erzählen, neue Moden zu schaffen.

Letztlich ist es das Ziel nicht so sehr, die richtigen Kunden für ein bestehendes Produkt zu finden, sondern das richtige Produkt (die richtige Geschichte) für die Kunden.

Durch das Megaphon singen

Mir stellt sich die Frage, inwiefern auch multisensorische oder zumindest Sound und Musik einbeziehende Marketingansätze von diesen Erkenntnissen profitieren können - immerhin arbeitet Godin schon mit einer klanglichen Metapher (Megaphon). Sound kann schließlich - "Ich liebe es" - ein wichtiger Teil der Geschichte sein, die erzählt wird, denn hier bewegt man sich wie von selbst vor allem auf der für Godin entscheidenden emotionalen Dimension des Marketing. Vielleicht ist es mit klanglichen und musikalischen Elementen sogar möglich, einen "richtigen Ort" und eine "richtige Zeit" zu schaffen, die dann den Kontext schaffen, um die Geschichte überzeugend zu erzählen und die auch den "Sneezers" ein (Musik)instrument an die Hand gibt, diese Atmosphäre zu schaffen und weiterzuverbreiten.

Audio Brandingansätze oder Corporate Sounddesign dürfen also nicht dem Irrtum verfallen, es gäbe ein "Soundproblem" von Unternehmen oder Marken, das zu lösen ist. Nein, Sound und Musik schaffen vielmehr die Atmosphäre, die es ermöglicht, die richtige Geschichte am richtigen Ort zu richtigen Zeit zu erzählen ("seeding") und ist zugleich das Musikinstrument, mit dem die Verbreitung dieser Geschichte unterstützt wird. Also: zweierlei Art Begleitmusik.

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Zwischen Werbung und PR

huggingPR-Blogging, Corporate Podcasts, User generated content - eine innovative Form der Unternehmenskommunikation jagt die andere, möchte man in letzter Zeit meinen. Die Verlockung für Unternehmen ist groß, in diese neuen Kommunikationsformen einzusteigen, nur weil die Konkurrenten es ebenfalls tun oder schlicht deshalb, weil es diese Themen immer wieder auf die Titelseiten von wired und Konsorten schaffen.

Häufig scheint jedoch nicht ganz klar zu sein, womit man es hier genau zu tun hat und an wen sich diese neuen Kommunikationskanäle richten. Ist es eine neue Form des Werbens oder der Öffentlichkeitsarbeit? Mit dieser Frage setzt sich Eric Schwartzman in einem spannenden Artikel auseinander.

Schwartzman schlägt für diese neuen Kommunikationsformen jenseits der klassischen Werbung oder PR den verallgemeinernden Begriff der "Corporate generated media" (unternehmensgenerierte Medien) vor:

Corporate generated media involves thinking beyond the press release, and beyond the blog, not in terms of generating propaganda, but in terms of using the web and new media to communicate with integrity and authenticity.

Demnach scheinen also die Inhalte zunächst nicht so wichtig wie die Tatsache, dass sich ein Unternehmen überhaupt diesen neuen Kommunikationskanälen öffnet. Aber weit gefehlt, denn in dem Moment, in dem sich Unternehmen als "Blog-Unternehmen" definieren, um auf diese Weise diesen Authentizitätsbonus zu gewinnen, kommt es umso mehr darauf an, dass die Geschichten - oder allgemeiner die medialen Botschaften, es kann sich hierbei auch um Videos oder um Audiocontent handeln - so gestrickt sind, dass sie sich über Schleusen wie digg, del.icio.us, newsvine, Google Video oder youtube von selbst im Netz verbreiten. Das Unternehmen agiert also vor allem als "Seeder". Zur Schlüsselfrage wird hier nach Schwartzman also "how to tell interesting, compelling stories ourselves".

Dies lässt sich auch in die Richtung lesen - und diese These von Schwartzman überzeugt -, dass sich bedingt durch einen Wandel in der Rolle der Massenmedien auch die Unternehmenskommunikationen ändern: Richtete sich die klassische PR noch an die Öffentlichkeit - eben als Public Relations - rückten durch den Aufschwung der Massenmedien diese immer stärker in den Mittelpunkt der PR, die sich damit auch als MR oder Media Relations definieren ließ.

Mit dem Aufkommen der zu Anfang beschriebenen digitalen Innovationen - die mit den Begriffen Web2.0 oder social web verbundene Geisteshaltung ist ein wichtiger Teil davon - verlieren die Massenmedien als Informationsbündelung und -verbreitung jedoch wieder an Bedeutung und die PR kann sich nun wieder in eine echte Öffentlichkeitsbeziehung verwandeln. Weblogs und Podcasts ermöglichen die Ergänzung der B2M(edia)-Beziehungen durch informationelle B2C-Beziehungen auf der individuellen Ebene, wobei Brand Evangelists (oder Firmen wie trnd) als wichtige Knotenpunkte in einigen Beziehungen die alte Stellung der klassischen Medienkonzerne übernehmen können. In der Netzwerktheorie würde man diese Figuren als Superspreader bezeichnen.

Wichtig ist dabei, dies ist eine weitere These von Schwartzman, dass sich diese neuen unternehmensgenerierten Medien nicht so sehr um die Produkte oder um die Marke selbst drehen, sondern die zukünftigen Kunden nicht aus dem Blick verlieren: "Good corporate generated media will not be about products or services. It will about the people who use them and their shared experiences". Es geht also zunehmend darum, ein Gespräch in Ganz zu bringen und aufrecht zu erhalten, oder in den Worten des Cluetrain-Manifests:

Unternehmen, die nicht begreifen, dass ihre Märkte jetzt von Person zu Person vernetzt sind, daraus resultierend intelligenter werden und sich in Gesprächen vereinen, versäumen ihre beste Chance.

Corporate generated media können eine Möglichkeit darstellen, diese Chance zu nutzen.

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