Freitag, 3. Februar 2012


Die Stimme eines früheren Deutschland

In dieser Woche hat ein Klang die Vorstellung, die wir von einer historischen Persönlichkeit hatten, für immer verändert. In dieser Woche wurde die erste und bisher einzige Tonaufnahme der Stimme Otto von Bismarcks der Öffentlichkeit präsentiert.



Die menschliche Stimme prägt die mentale Repräsentation von Person entscheidend. Neben der visuellen Erscheinung (und bei körperlicher Nähe der olfaktorischen) sind Stimme und Sprechweise wichtige Merkmale eines Gegenübers. Sie dienen uns nicht nur zur akustischen Wiedererkennung, wir schließen aus dem akustischen Eindruck auch intuitiv auf Charaktereigenschaften, Stimmungen und Intentionen. Beide Aspekte werden auch beim Einsatz von Stimme als akustisches Markensymbol – als Corporate oder Brand Voice – genutzt.

Die Stimme als akustischer Fingerabdruck
Die Stimme fungiert gleichzeitig als einzigartige, akustische Signatur einer Person und als Aussage über diese Person. Ein großer Teil der assoziativen Wirkung ist dabei gelernt.
Die Stimme eines Menschen ist rein physiologisch unter anderem durch seinen Körperbau bedingt – durch die Länge der Stimmbänder und die Größe der Resonanzräume etwa. Außerdem verändert sich der Stimmklang in Abhängigkeit von Alter und Gesundheitszustand. Neben der offensichtlichen Unterscheidung von Mann und Frau sind daher viele Informationen im Klang einer Stimme enthalten, die Rückschlüsse auf den Sprecher oder die Sprecherin erlauben. Ein Umstand, der auch in der Kriminalistik Anwendung findet.

Diese biometrischen Charakteristika und unsere subjektiven Erfahrungen damit führen unweigerlich dazu, dass wir auch völlig isolierten Stimmeindrücken – etwa dem einer fremden Person am Telefon – Charakterzüge zuordnen. Meist wird dies nicht bewusst reflektiert, aber es ist im wahrsten Sinne des Wortes zutreffend, dass wir von dieser Person "schon viel gehört" haben, wenn wir sie später einmal treffen.

Sprache und Sprechweise
Die häufigste Form, in der wir Stimmen wahrnehmen, ist das gesprochene oder gesungene Wort. Schon ein Seufzer kann viele Informationen transportieren und wie seit einigen Jahren bekannt ist, steckt auch im Schreien neugeborener Babys schon Prägung und Herkunft durch die Landessprache der Eltern. Doch Sprache vermittelt uns einen nochmals viel differenzierteren Eindruck von der sprechenden Person.

Neben der nationalen und regionalen Herkunft, die in Landessprache, Dialekt oder Akzept mitklingt sind auch Sprachmelodie und -rhythmus oft Anhaltspunkte für bewusste und unbewusste Assoziationen. Hören wir eine Stimme immer wieder im Zusammenhang mit einer spezifischen Charakterdarstellung kann außerdem eine Konditionierung eintreten.
So ist es kein Zufall, dass sich im Operngesang das Fach "Heldentenor" etabliert hat. Einige der bedeutendsten Opern Wagners wären ohne diese Kombination von stimmlichen Charakteristika des Sängers, Gesangstechnik und kompositorischen Stilmitteln undenkbar.

Am deutlichsten ist ein Transfereffekt im Sinne der Bedeutungszuschreibung allerdings bei Synchronstimmen bekannter Schauspieler zu beobachten. Hier werden die Charaktereigenschaften einer fiktiven Filmfigur nicht nur auf den Schauspieler, sondern auf eine Stimme projiziert, die ihm nur geliehen wurde. Dabei zeigen sich auch die Grenzen der möglichen Rückschlüsse auf Personeneigenschaften. Denn obgleich schon Bruce Willis nicht alle Eigenschaften des New Yorker Polizisten John McClane aufweist, den er in Stirb Langsam spielt, so dürfte ein Foto von Manfred Lehmann – seiner Synchronstimme – noch weniger an diese Figur erinnern.
Trotzdem werden seiner Stimme gern (und zum Großteil völlig unreflektiert) jene heldenhaften Eigenschaften zugesprochen – ob bei einem markanten Spruch zur Rettung der Welt oder der Ankündigung von Rabatten für einen Baumarkt.

Die Stimme eines Landes
Ein weiterer Bereich, indem die Stimme eine nicht zu unterschätzenden Rolle spielt, ist die Politik. Gerade bei der für Demokratien wichtigen Repräsentation ist der stimmliche Auftritt oft ebenso entscheidend, wie der optische. Unvergessen die relativ hohe und dialekt-geprägte Stimme Walter Ulbrichts, nicht nur aber auch bei der vielzitierten Behauptung, man wolle keine Mauer errichten.



Die Stimme Bismarcks klingt im Vergleich schon fast staatsmännisch – welches Konglomerat von Assoziationen an Klangfarbe, Sprechweise, Rhythmus und Betonung sich auch immer sich hinter dieser Bezeichnung verbergen mag.
Auch Ulrich Lappenküper, Geschäftsführer der Otto-von-Bismarck-Stiftung, gibt an, sich die Stimme Bismarcks den Beschreibungen zu Folge anders vorgestellt zu haben. Bisher war nur überliefert, dass diese "recht hoch gewesen sei". Nun macht eine historische Aufnahme des ersten kommerziell erfolgreichen Geräts zur Speicherung von Klangeindrücken weitere Spekulationen überflüssig.

Dies zeigt auch noch einmal den Wert der Erfindungen Thomas Alva Edisons und anderer, die zur gleichen Zeit an der Schallaufzeichnung arbeiteten. Die Selbstverständlichkeit mit der wir heute zuvor aufgenommene Klänge, Geräusche, Stimmen und Musik reproduzieren, wäre ohne sie nicht möglich. Sie waren die ersten, die das flüchtige Medium konservierten. Und so eine Stimme für die Nachwelt erhielten, die einmal enormes Gewicht in der europäischen Politik hatte.
Bisher hatten wir nur ein Bild vom Eisernen Kanzler. Nun haben wir auch einen kleinen Eindruck davon, wie er klang.

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